4. Vom Muskel zum Fleisch

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Jemand
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4. Vom Muskel zum Fleisch

Beitragvon Jemand » Sa 6. Jun 2020, 21:10

Beitrag: # 15327Beitrag Jemand »

Wenn wir uns mit dem Thema Herstellung von Wurst und Schinken auseinandersetzen, ist es wichtig, einiges über den Rohstoff Fleisch zu wissen. Beim lebenden warmblütigen Tier handelt es sich noch um Muskeln, die die Aufgabe haben, dass sich das Tier fortbewegt. Dafür wird Energie benötigt, die im Muskel in unterschiedlicher Art gespeichert und durch verschiedene Stoffwechselvorgänge nutzbar wird. Die Speicherung von energiereichen Stoffen im Muskel erfolgt durch Einlagerung von Phosphatverbindungen, Kohlenhydraten und Fetten. Je nach Art der Belastung setzen verschiedene Prozesse ein, die diese gespeicherte Energie nutzbar machen. Wer sich dafür tiefer interessiert, kann in entsprechenden Biologiefachbüchern nachlesen.

Wie wird aus einem Muskel nun Fleisch?
Nach dem Tod und dem Ausbluten der Tiere kommt der natürliche Stoffwechsel zum Erliegen. Die noch vorhandenen Energieträger, insbesondere die Phosphatverbindungen und die gespeicherten Kohlenhydrate (Glycogen) werden durch enzymatische Prozesse abgebaut. Sind diese Speicher erschöpft, tritt die so genannte Totenstarre (besser Muskelstarre) ein. Durch den Abbau von Glycogen sinkt der pH-Wert aus sein Minimum ab und steigt dann nach der Muskelstarre bis zum Verderb stetig wieder an. Dieser Vorgang wird Fleischreifung genannt. Ein optimaler Verlauf dieser Fleischreifephase nach dem Tod der Tiere ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass aus einem Muskel gutes Fleisch wird. Ein optimaler Verlauf dieser Reifung ist von vielen Faktoren abhängig. Insbesondere der (gesundheitliche) Zustand der Tiere unmittelbar vor dem Tod hat maßgeblichen Einfluss auf die Fleischreifung und damit die zu erwartende Güte des Fleisches. Von gehetzten oder kranken Tieren, Tiere die durch Stress vor dem Tod bereits ihre Energiereserven aufgebraucht haben, ist demnach kein gutes Fleisch zu erwarten. Auch die Dauer und Schnelligkeit der Abkühlung der Schlachtkörper hat wesentlichen Einfluss auf die Qualität des Fleisches.

Qualitativ gutes Fleisch, von dem hier die Rede sein soll, wurde schnell abgekühlt, hat nach der Auflösung der Muskelstarre einen pH-Wert zwischen pH 5,3- pH 5,8; sieht gleichmäßig rosa/ rot (je nach Tierart) aus und hat einen angenehm leicht säuerlichen Geruch.

Was fangen wir als Hobbymetzger mit diesen Erkenntnissen an?
An dieser Stelle sind Fleischreifefehler zu erwähnen. Läuft der oben genannte Prozess- aus welchen Ursachen auch immer- nicht optimal ab, kann die Fleischqualität stark leiden und die mögliche Verwendung des Fleisches für verschiedene Produkte einschränken oder gar unmöglich machen. Im Folgenden werden die wichtigsten Reifefehler benannt und gezeigt, wie man diese auch ohne Messinstrumente als Laie erkennen kann.

1. Stickige Reifung
Wird das Fleisch nach dem Tod nicht schnell abgekühlt, kann "stickige" Reifung entstehen. Durch enzymatische Prozesse bauen sich unter Sauerstoffabschluss die im Fleisch enthaltenen Eiweißstoffe ab und setzen Schwefelverbindungen frei. Fleisch mit "stickiger" Reifung erkennt man am stechenden, fauligen Geruch, der an "faule Eier" erinnert. Dieser Reifefehler wird uns im Handel sicher nicht begegnen, weil hier das Fleisch vor dem Versenden entsprechend kontrolliert wird. Bei einer Hausschlachtung von Rindern oder schweren Schweinen oder bei geschossenem Wild kann das jedoch bei unzureichend schneller Abkühlung, insbesondere in dicken Teilen wie zum Beispiel den Keulen durchaus passieren. Dieses Fleisch ist für den Verzehr ungeeignet und muss verworfen werden

2. PSE-Fleisch
Als PSE-Fleisch wird ein Fleischreifefehler charakterisiert, welcher durch eine zu schnelle Absenkung des pH-Wertes (Absäuerung) im noch warmen Muskel hervorgerufen wird. Anfällig sind insbesondere gehetzte Tiere, Tiere mit genetischen Dispositionen (schnell gewachsene Rassen). Betroffen sind beim Schwein oftmals die Rückenmuskeln (Kotelettfleisch) und die Oberschalen, bei Puten die Brustmuskulatur. Die Bezeichnung PSE stammt aus dem Englischen (pale-soft-exudative) und soll darauf hindeuten, dass dieses Fleisch sehr wässrig ist, es hat kaum Wasserbindevermögen, es ist sehr strohig/trocken und hat eine ausgeprägt blasse, fast weißliche Farbe.
Dieses Fleisch ist kaum zum Kurzbraten geeignet, einen guten Schinken wird es auch nicht ergeben. Es ist nicht verdorben, bietet jedoch einen geringen Genusswert. Für Brühwurst ist es nicht geeignet, weil es kein Wasserbindevermögen besitzt, eine optimale Rohwurstfarbe ist ebenfalls nicht zu erwarten. Bei der Fleischauswahl sollte man die Farbe mit beachten. Zu blasses Schweinefleisch besser liegen lassen.

3. DFD-Fleisch
Als DFD-Fleisch (dark-firm-dry) wird ein Fleischreifefehler charakterisiert, wo die gewünschte pH-Wertabsenkung nicht ausreichend stattfand und das Fleisch somit höhere pH-Werte >pH 6 aufweist. Durch den hohen pH-Wert ist es wesentlich schlechter vor mikrobiellem Verderb geschützt (Säure hemmt Eiweiß-zersetzende Bakterien am Wachstum), die Haltbarkeit und Stabilität somit deutlich eingeschränkt. Dieses Fleisch hat eine eher dunklere Färbung und eine "leimige" Struktur. Es tritt auch nach Tagen kaum Fleischsaft aus, was die mangelhafte Haltbarkeit zusätzlich befördert. Für Rohpökelwaren und Rohwurst ist solches Fleisch ungeeignet, es rötet auch sehr schlecht um. Für Kochpökelwaren ist es aufgrund des guten Wasserbindevermögens eher geeignet, sollte jedoch wegen der eingeschränkten Haltbarkeit nicht gelagert werden. Zu erkennen ist es an der im Vergleich zu normal gereiftem Fleisch sehr dunklen Farbe, der trockenen Oberfläche und der "leimigen" Textur. Das Messer "klebt" am Fleisch. Der feine Säuregeruch fehlt. Dies sind gute Merkmale, solches Fleisch auch sensorisch zu erkennen.
Betroffen ist vor allem Rindfleisch, aber auch die Nüsse aus Schweinekeulen und oftmals auch der Nacken von Schweinen.

Fazit: Optimal gereiftes Fleisch riecht leicht angenehm säuerlich, hat eine kräftige, tierartspezifische Farbe, hat eine glänzende Oberfläche und sollte natürlich "frisch" sein. Die Verwendung von fehlerhaftem Fleisch kann zu Problemen bei der Qualität der daraus hergestellten Produkte bis hin zum ungeplanten Verderb führen. Es ist demnach für uns sehr wichtig, gut gereiftes Fleisch zu erkennen.
Euer Mod-Team
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